Eigentlich wollte ich immer Rennen fahren; mein Können unter Beweis stellen, mich mit Anderen messen und irgendwie natürlich auch Profi werden. Die beiden letzten Jahre in der U19 liefen leider nicht so gut. Im ersten Jahr stürzte ich unzählige Male. Vielleicht acht bis zehn mal. Das ist bei knapp über 20 Rennen im Jahr natürlich extrem viel. Eigentlich lag ich fast mehr auf dem Boden, als das ich auf dem Rad saß. Die Angst davor wieder und wieder zu stürzen hinderte mich daran auch nur ein einziges akzeptables Ergebnis zu fahren. Im nächsten Jahr war da dieses neuartige Virus, von dem niemand richtig wusste, wie man damit umgehen sollte. Also wurden die Rennen alle abgesagt. Zugleich stand auch noch mein Abitur kurz vor der Tür. Die meisten meiner Schulkollegen hatten schon einen Ausbildungsplätze oder Studienplatz fest. Aber ich hing irgendwie in der Luft und wusste nicht wirklich in welche Richtung es nach der Schule gehen sollte. Ständig kamen diese Fragen „Studium oder Ausbildung, was machst du jetzt?“. Um Profi zu werden, waren die Rennergebnisse der letzten zwei Jahre einfach zu schlecht gewesen. Das war völlig klar. Aber um ehrlich zu sein hatte ich weder Lust auf eine Ausbildung, noch direkt nach meinem Abitur direkt ein Studium anzufangen. Monatelang schwebten meine Gedanken zwischen „doch nochmal versuchen Profi zu werden“ und „eben etwas anderes machen“. Anfang Winter 2021 schickte mein Trainer mir das Video von Lachlan Mortons Tour de France Alt Tour und kommentierte dazu „Gut zum Nachahmen!“. Aber ich wollte eigentlich niemanden etwas nachmachen. Wenn, dann wollte ich etwas vormachen. Es gibt drei dreiwöchige Rundfahrten auf dieser Welt. Also warum nicht versuchen, alle drei als unsupported Alt Tour zu fahren? Damit war die Idee also geboren.
Als absoluter Newcomer ein so großes Projekt auf die Beine zu stellen ist wirklich nicht einfach. Ich und ein kleines Team aus Freunden, haben Monate damit verbracht mit Sponsoren zu sprechen und sie für das Projekt zu begeistern. Die Skepsis war riesig. Ein 19 Jähriger der gerade frisch die Schule beendet hat, will in einem Jahr als absoluter No-Name eine Strecke von mehr als 20.000 Kilometern mit über 220.000 Höhenmetern ohne Unterstützung durch ganz Europa fahren. Klingt sicherlich ziemlich größenwahnsinnig und naiv. Aber ich war überzeugt davon, dass es möglich ist und ich dazu in der Lage bin dieses riesige Projekt zu meistern. Trotz großer Skepsis, schafften wir es dann doch, mit einer Mischung aus guter Projektplanung und viel Selbstbewusstsein, den einen oder anderen Sponsor an Bord zu holen. Neben der Projektplanung musste aber natürlich auch mein Körper dazu in der Lage sein, über so einen langen Zeitraum, so hohe Belastungen zu ertragen. Langsam gewöhnte ich meinen Körper, mithilfe meines Trainers, an die langen Belastungen, Anstiege als auch die verschiedensten Wetterbedingungen. Wir versuchten alle möglichen Situationen zu simulieren; 250 km Hitze, 250 km Kälte, 250 km ohne Schlaf, 250 km mit anschließenden Minusgraden im Zelt. Fünf Stunden Training bei 0°C Außentemperatur waren wirklich der absolute Standard. Gut und gerne waren es dann bis zu 45 Trainingsstunden in der Woche auf dem Rad. Dazu kam dann noch Krafttraining und natürlich wie eben schon erwähnt, die restliche Projektplanung.
Bei der Materialauswahl war mir Langlebigkeit und Komfort von größter Bedeutung. Es bringt mir nun mal gar nichts, wenn ein Teil beispielsweise besonders leicht ist, aber nur die Hälfte der Strecke übersteht. Um meine Handgelenke und besonders meinen Rücken zu schonen, habe ich mich für ein recht komfortables Rad von Rose entschieden. Das Reveal Six ist für mich die perfekte Mischung aus Komfort, Leichtigkeit, Aerodynamik, und Langlebigkeit. Ebenso aus Komfortgründen habe ich mich dazu entschieden, einen relativ breiten Lenker mit einem Auflieger und vielen unterschiedlichen Griffpositionen zu verwenden. Für optimalen Gripp, sorgt die Firma Schwalbe mit dem Pro One Reifen mit einer Breite von 28 mm. Gepaart mit dem ERC Laufradsatz von DTSwiss mit einer Höhe von 45 mm muss man sich wirklich wenig Gedanken über Defekte machen. Der Laufradsatz ist aerodynamisch, leicht und hat bei der kompletten Tour de France über 6300 km nicht ein einziges Mal Probleme gemacht. Um auch die Möglichkeit zu haben, in der Nacht fahren zu können ist an meinem Rad ein Supernova M99 Dy Scheinwerfer verbaut. Der erste Scheinwerfer bei dem man keine Angst haben muss, übersehen zu werden. Im Fernlichtmodus kommt es gelegentlich vor, dass andere Verkehrsteilnehmer das Licht als so hell empfinden, dass sie verärgert die Lichthupe anwerfen. Alle Taschen an meinem Rad sind von der Marke Apidura und bieten genügend Platz für mein ganzes Equipment.
Giro Start am 26.04.2022
Der Anfang des Giros war wirklich am schwersten. Das ständige Alleinsein und mit niemandem reden zu können, bereiteten mir Anfangs einige Schwierigkeiten. In Ungarn und danach Slowenien habe ich teilweise tagelang mit niemandem gesprochen. Eine wirklich neue Erfahrung für mich. Mit der Zeit verflog dieses Gefühl der Einsamkeit glücklicherweise. Die Tage in Ungarn und Slowenien vergingen wie im Flug; landschaftlich ein wirklicher Geheimtipp. Durch ganz Italien bis nach Sizilien war die Strecke eher eintönig. Immer nur an der Küste entlang … links das Meer, rechts Strandpromenade. Im Vergleich zu dem was noch kommen sollte, trotzdem ein absoluter Selbstläufer. Teilweise regnete es Tagelang; gefühlt ohne Unterbrechung. Eigentlich kein Problem, aber wenn man bei Starkregen den Etna runterfahren muss bei 0°C, starkem Nebel und so viel Wasser auf der Straße, dass die Straße eigentlich gar nicht zu sehen ist, ist das schon gefährlich. Tagelang war ich bis auf die Knochen nass. Selbst Nachts im Schlafsack wurde mir nicht mehr richtig warm. Glücklicherweise wurden die Tage, desto nördlicher ich kam, immer länger und immer wärmer. Der Giro war wirklich eine absolute Herausforderung.
Ich hatte das Gefühl, der Giro bestünde eigentlich nur aus Bergen. Kaum ist man aus einem Anstieg raus, folgt der nächste und wieder der nächste. Beim Gedanken daran, wie viele Höhenmeter und Kilometer noch zu fahren sind, wurde mir regelmäßig übel. 250 km mit über 5000 Höhenmeter am Tag, waren fast
Standard. Innerhalb einer Woche wurde ich von einem Auto angefahren und von einem Obdachlosen überfallen der meine Wertsachen stehlen wollte, bzw. gestohlen hat. Nach einer kurzen Schlägerei mit dem Obdachlosen konnte ich meine Wertsachen glücklicherweise zurückgewinnen. Weil ich allerdings barfuß hinter ihm herlief, waren nach dem Vorfall meine Füße von unten komplett wund. Was die nächsten Tage auf dem Rad deutlich erschwerte. Der Tag nach diesem Vorfall war sicherlich einer meiner schwersten Tage auf dem Rad. Ich hatte Wochenlang nicht geschlafen, vom Autounfall überall Schürfwunden und eine extrem schmerzende Rippe. Die offenen und entzündeten Füße, taten ihr übriges.
Tour de France
Ein wirklich sensationeller Auftakt in Dänemark und grausame Hitze in den Alpen und Pyrenäen:
Das größte Radrennen der Welt und doch von den drei Touren die kleinste Herausforderung für mich. Im Gegensatz zum Giro hatte die Tour 1000 Kilometer und 10.000 Höhenmeter weniger. Sollte ja also kein Problem sein. Die ersten zwei Wochen durch Dänemark, Deutschland, Belgien und die Niederlande waren wirklich super. Entspanntes Höhenprofil, ertragbares Wetter und vor allem eine atemberaubende Stimmung in Dänemark. Auf dem Weg nach Frankreich hatte ich durch soziale Medien und den Lifetracker auf meiner Webseite viel Begleitung. Selbst später in den Pyrenäen und Alpen wurde ich von Followern erkannt. Das hat mich natürlich extrem motiviert. Entgegen allen Erwartungen, verliefen die Tage in Frankreich meist nach Plan; jeden Tag 250 km bei acht bis zwölf Stunden Fahrzeit, ab ins Zelt und das dann für mehr als drei Wochen. Ein Problem gab es dann aber doch: die Hitze machte mir sehr zu schaffen. Bei Temperaturen bis 48°C, ist Radfahren einfach scheiße und macht echt keinen Spaß. Täglich brauchte ich bis zu 15 Liter zum Trinken und nochmal 15-20 Liter einfach um mich abzukühlen. Jeder Fluss war ein echtes Geschenk. Nach drei sehr bergigen Tagen mit durchschnittlicher Temperatur von über 45°C und über 4000 hm war plötzlich der Motor aus. Es ging gar nichts mehr. Ich schaffte es mit größter Not zu einer kleinen Unterkunft, in der sich der Besitzer gut um mich kümmerte. Da mein Zustand sich allerdings am nächsten Tag nicht verbesserte, musste ich ins Krankenhaus, um dort meine Blutwerte checken zu lassen. Diagnose: Ein Elektrolyt fehlte. Nach so viel Flüssigkeitsverlust wohl absolut kein Wunder. Nach Einnahme von so etwas, wie einer Salztablette ging es dann kurze Zeit später wieder bergauf, sodass ich wenig später die Tour de France beenden konnte.
Wie geht’s jetzt weiter?
Die Vuelta lief leider etwas anders als geplant. Aus welchem Grund auch immer, startete die Spanienrundfahrt dieses Jahr in der Niederlande in Utrecht. Zwischen Tour de France und Vuelta hatte ich auf einen anderen Rahmen gewechselt, um mehr Anbaumöglichkeiten für Flaschen am Rahmen zu haben. Unglücklicherweise stellte ich meinen Sattel selbst um ein paar Millimeter zu hoch ein. Das führte dann am ersten Tag der Vuelta zu extremen Beinproblemen auf der rechten Seite. Ich hatte die alte Position über einen so langen Zeitraum gefahren, das mein Körper anscheinend schlecht mit Veränderung umgehen konnte. Sicherleich war das Bein auch schon vorher gereizt gewesen. Die verstellte Sitzhöhe, brachte das Fass dann endgültig zum Überlaufen. Die äußere Sehne meines rechten Knies (Tractus iliotibialis) hatte sich in kürzester Zeit so entzündet, dass jeder Tritt mit dem rechten Bein nahezu unmöglich war. Auch nach einer Nacht im Hotel hatte sich der Zustand des Beins nicht verbessert. Gerade einmal vier Kilometer konnte ich fahren und das auch nur unter extremen Schmerzen. Ich stand am Straßenrand und wusste, es gibt keine andere Möglichkeit, als das Projekt hier zu unterbrechen, nach Hause zu fahren und das Bein behandeln zu lassen. Mit einer gebrochenen Schulter oder einer gebrochenen Rippe lässt sich sicherlich fahren. Aber wenn die Beine nicht funktionieren, ist da leider nichts zu machen. Rückschläge sind normal und natürlich auch Teil von solchen Projekten. Hätte ich nicht gewusst das sowas passieren kann, hätte ich gar nicht losfahren sollen. Jammern bringt mich keinen Zentimeter voran. Jetzt gilt es, das Bein so schnell wie möglich wieder fit zu bekommen. Sobald die Sehne wieder vollständig verheilt ist, geht es auf die letzten 7300 km.